Samstag, 29. November 2008

Der Höhepunkt

Die Kritik hat gesessen. In seinen Dankesworten geiselt Bischof Gerhard Ludwig den derzeitigen Neoliberalismus, der in der Finanzkrise sichtbar wird und an den Armen ausgeht. Die Kräfte des freien Marktes bringen nicht von selbst ein soziales Ergebnis hervor.
Der Saal ist übervoll, neben den Professoren und einigen Bischöfen sehe ich viele Studenten, etliche von den Missioneros, die uns von den hinteren Bänken zuwinken, und: Gustavo Gutierrez. Er kam eigens aus den USA zur Ehrendoktorwürde des Bischofs, fliegt morgen wieder zurück. Als sich die beiden herzlich begrüßen, bricht ein Blitzlichtgewitter los: der weltbekannte Befreiungstheologe und der deutsche Bischof, der Peru theologisch und pastoral als zweite Heimat kennt.
Die Laudatio von Dr. Lerner spannt einen weiten Bogen, rühmt das theologische Schaffen des Ehrendoktors – darunter das Buch mit Gutierrez -, kommt immer wieder auf die Regensburger Rede des Papstes zu sprechen, auf das Verhältnis von Vernunft und Glaube, und kritisiert das Konzept einer "Neo-Universität", die nur auf einem verkürzten Vernunftverständnis aufbaut.
Die Dankesworte des Bischofs werden zu einem biographischen Bekenntnis: "Die Theologie der Befreiung ist für mich verbunden mit dem Gesicht von Gustavo Gutierrez." Am Anfang stand ein Seminar, das Gutierrez in München gehalten hat. Mehrere Besuche folgten: theologischer Austausch, Besuche in Anden-Dörfern mit Prof. Josef Saier, verschiedene Projekte. Als er den hl. Bartolome de las Casas und Gustavo Gutierrez zitiert, geht ein Murmeln durch den Saal: "Gott oder Gold?" Immer wieder spielt er auf die peruanischen Erfahrungen der Vergangenheit an. Und betont die Personalität des christlichen Glaubens gegen die apersonalen Formen des Marxismus: Jeder Mensch hat ein Gesicht, ein Herz, weil Gott Mensch geworden ist. Hier verteidigt er auch Gustavo Gutierrez gegen falsche Angriffe und fordert eine christliche Spiritualität der Menschenrechte. "Deus caritas ist, das ist das Ziel und das Mittel der Befreitung und Vollendung des Menschen hin auf den dreieinen Gott."
Nach einer guten Viertelstunde erhebt sich der ganze Saal zum langanhaltenden Applaus. "Der traut sich", bekennt ein Bischof Frau Öfele gegenüber. Und der neue deutsche Botschafter meint später schmunzelnd beim Essen: "Formal bin ich Protestant, aber sozial und politisch bin ich nach allem, was ich heute gehört habe, katholisch."
Michael Fuchs